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Bundeswehr 2.0 – Teil II

Posted in Äußere Sicherheit, Bundeswehr, Informationsmanagement, NATO, Strategie by analyticsdotcom on 19/02/2011

Wird zu Guttenberg scheitern?

Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg gilt allgemein als beliebt, geniest ein hohes Ansehen in der Bevölkerung, wird Kompetenz zugesprochen, wird in der CDU/CSU-Fraktion als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt, geniest auch bei vielen Soldaten ein hohes Ansehen und ist auch dort beliebt – zumindest in großen Teilen der Truppe. Zudem sieht er auch noch gut aus und hat ohne Zweifel auch für den weiblichen Teil der Bevölkerung eine gewisse Attraktivität. Er wird gelegentlich als „Lichtfigur“ tituliert. Sein eloquentes, teilweise auch „robust“ scheinendes Auftreten mit einer in gewissen Situationen nicht immer gänzlich zu verbergenden Arroganz haben zu Guttenberg überdurchschnittlich hohe Vorschusslorbeeren eingebracht. Reicht dies aus, um eine so komplexe Organisation, Streitkräfte wie die Bundeswehr zukunftsorientiert an neue Herausforderungen auszurichten? Nein, sicherlich nicht. Da gehört deutlich mehr zu. Eines der Attribute heißt Weitsicht haben – und zwar breitbandig: Strategisch, taktisch und operativ. Unbestritten nicht ganz einfach. Einige ausgewählte Aspekte zur Umstrukturierung in der Bundeswehr sollen näher betrachtet werden.

Management und Verantwortungsdiffusion

Zu Guttenberg wurde nach dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Michael Glos am 9. Februar 2009 der jüngste Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel I und mit 37 Jahren der bis dahin jüngste Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 28. Oktober 2009 ist zu Guttenberg Verteidigungsminister, bis dato auch der jüngste Verteidigungsminister, den die Bundesrepublik Deutschland jemals hatte. Er löste den farblosen, entscheidungsschwachen und zudem führungsschwachen Franz Josef Jung ab, der daraufhin als Bundesarbeitsminister antrat, jedoch nach etwas mehr als einem Monat sein Amt niederlegte – wegen seiner unprofessionellen, politischen Handhabung der Kunduz-Affäre.

Zu Guttenberg erkannte nach Amtsantritt wohl recht schnell, dass bei der Bundeswehr mehr Dinge im Argen liegen, als zunächst erkennbar. In einer markanten und eindringlichen Rede am 28. Mai 2010 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg vor Admirälen, Generälen, Kommandeuren, Soldatinnen und Soldaten kritisiert er unter anderem Managementfehler und Fehler in der strategischen Planung der Bundeswehr. Vermutlich sind noch nie so offen und so unmissverständlich „Watschen“ wegen Managementfehlern verteilt worden, auch wenn viele der Anwesenden sich nicht betroffen fühlten.

Als einer der nächsten Schritte veranlasste zu Guttenberg die Installation einer Bundeswehr-Strukturkommission, der sogenannten Weise-Kommission unter Leitung von Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, und Oberst der Reserve. Im Oktober 2010 legt die Strukturkommission das Arbeitsergebnis vor mit dem Titel „BERICHT DER STRUKTURKOMMISSION DER BUNDESWEHR OKTOBER 2010 – VOM EINSATZ HER DENKEN: KONZENTRATION, FLEXIBILITÄT, EFFIZIENZ“. Das Ergebnis der Untersuchung war niederschmetternd und sorgte für erhebliche Unruhe. Die Analyse des ungeschönten Berichtes ergibt: Die Bundeswehr ist nicht nur bedingt einsatzbereit, sondern in vielen Bereichen auch hochgradig ineffizient organisiert. Ein solche öffentliche Darstellung hätte vor einigen Jahren als kritischer Artikel möglicherweise noch Hausdurchsuchungen wegen angeblichen Landesverrats ausgelöst, ähnlich wie in der SPIEGEL-Affäre 1962 mit der Schlagzeile: „Bedingt abwehrbereit.“

Die meines Erachtens wichtigste Kernaussage in dem Bericht der Strukturkommission lautet:

„Die allgemeine Verantwortungsdiffusion im Ministerium macht eine gezielte, sachgerechte und energische Steuerung unmöglich. Gut ausgebildete und hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behindern sich gegenseitig in Strukturen, die nicht erfolgsfähig sind. Diese ungünstige Situation wird durch die Aufteilung des Ministeriums auf die Dienstsitze Bonn und Berlin weiter verschärft.“

Kurz formuliert: Gravierende Führungs- und Organisationsfehler. Etwas flapsig formuliert: „Jeder macht was er will, keiner macht was er soll, und alle machen mit.“ Zudem gab die Weise-Kommission auch konkrete Empfehlungen, wo Rationalisierungspotential liegt und wie neue Strukturen aussehen sollten.

Fischen im Trüben

Bevor die Bundeswehr-Strukturkommission ihren Bericht im Oktober 2010 jedoch überhaupt fertig gestellt hatte und anstatt man diesen erst einmal abwartet, wurde bereits heftigst mit Personalzahlen einer zukünftigen Bundeswehr öffentlich jongliert auf Basis eines Papiers, welches bereits im August 2010 publiziert wurde: „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010“. Ausgehend von zum damaligen Zeitpunkt 252.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie Wehrpflichtigen und weiteren 104.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bestehend aus rund 25.000 Beamtinnen und Beamten, 74.000 Arbeiternehmerinnen und Arbeiternehmern sowie etwa 5.000 Auszubildenden, insgesamt also 356.000 Beschäftigten der Bundeswehr, wurden fünf Personalmodelle in Betracht gezogen, die im Detail dem Bericht zu entnehmen sind. Je nach Modell sollte bei den Soldaten der Personalumfang zwischen 150.000 und 210.000 betragen. Bei dem Zivilpersonal wurde „höchst zurückhaltend“ verfahren: Bis 2016 könnte sich der Personalbestand um etwas mehr als 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vergelich zu heute verringern, heißt es im Bericht. Im zivilen Bereich wären im Planungszeitraum allerdings lediglich 233,6 Mio € Einsparpotential zu erwarten, so der Bericht weiter.

Bei dem Bericht fallen zwei Dinge besonders ins Auge: Erstens, das Thema zivile MitarbeiterInnen wurde mit Glaceehandschuhen angepackt. Zweitens, außer zu bekannten Allgemeinplätzen wie NATO, Vereinte Nationen (VN), Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Europäische Union und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), Terrorismus, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Völkerrecht, ungehinderter Welthandel, Souveränität Deutschlands und die Unversehrtheit des deutschen Staatsgebietes war in dem Bericht rein gar nichts zu lesen über die Fähigkeiten, die eine Armee, die die „neue“ Bundeswehr zukünftig haben soll.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, empfahl Minister zu Guttenberg Modell vier des Berichtes. Dieser Empfehlung wollte zu Guttenberg auch folgen, so sein Tenor in der Öffentlichkeit. Also etwas folgen, ohne den Bericht der Bundeswehr-Strukturkommission erst abzuwarten und über die erforderlichen oder gewünschten Fähigkeiten der neuen Bundeswehr nachzudenken. Eine sehr interessante „Führungsentscheidung“ – für eine ganze Armee. Diese Entscheidung wurde nur kurz später von zu Guttenberg wieder verworfen. Wie dem auch sei: Je 1.000 Beschäftigte weniger können bei der Bundeswehr jährlich durchschnittlich circa 50 Millionen Euro an Personalkosten eingespart werden.

Schäubles Spardruck und zu Guttenbergs Reaktion

Von Finanzminister Schäuble den allgemeinen Druck im Nacken bei der Bundeswehr bis 2014 insgesamt 8,4 Milliarden Euro einzusparen, reagierte zu Guttenberg in mehr oder weniger vorauseilendem Gehorsam – oder vielleicht auch nur als scheinbar gut meinendes Vorbild für andere Bundesressorts – sehr reflexartig und verkündete schon ungewöhnlich frühzeitig in den Medien: „Die Bundeswehr wird einsparen!“ Ein Plan wie und wo hatte zu Guttenberg zum Zeitpunkt seiner großspurigen Ankündigung allerdings nicht in der Tasche. Was ihn zu diesem Schnellschuss getrieben hat, bleibt bis heute unklar. Dass die Dinge mittlerweile völlig anders laufen, dass von Einsparen in den ersten Jahren trotz (vorübergehender) Einstellung der Wehrpflicht nicht mehr die Rede ist, sondern von Anschubfinanzierung für die Bundeswehrreform, macht zu Guttenbergs Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsverhalten als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) nicht unbedingt glaubwürdig, weder für die aktive Truppe, für das Zivilpersonal, für die Reservisten der Bundeswehr, noch für die Politik und auch nicht für die Bevölkerung.

Alles auf der Zielgeraden?

In den abgelaufenen Monaten haben eine Vielzahl von Bundeswehrdienststellen das sogenannte „Kästchenschieben“ praktiziert, also wie zukünftige Strukturen der Bundeswehr aussehen sollen. Die Änderungen in den Vorgaben (Struktur und Personal) erfolgten nicht selten im Tagesrhythmus. Die Begeisterung der beteiligten Planer hielt sich bei den ständigen Änderungen naturgemäß in Grenzen. Auch wenn abschließende Entscheidungen über Strukturen noch nicht endgültig verabschiedet und öffentlich kommuniziert wurden, so wird doch deutlich, dass sich zukünftig viel stärker an bestimmten Fähigkeiten orientiert werden soll, wie in der Vergangenheit: Aufstellung von sogenannten „Fähigkeitskommandos“, wie beispielsweise intendiert beim „Kommando Führungsunterstützung“, „Kommando Militärisches Nachrichtenwesen“ (MilNw) oder „Kommando Logistik“ zeigen die Marschrichtung auf.

Wenn man sich den Bericht „Konzentration und Verantwortung – Die prozessorientierte Neuausrichtung der Bundeswehr“ eines unbekannten Verfassers oder Autorenteams ansieht, der auf den Internetseiten des BMVg hinterlegt ist, fragt man sich schon, wie zu Guttenberg das Thema Management bzw. Verantwortungsdiffusion bei der Personalauswahl eigentlich selbst handhabt, wo gerade diese Punkte Anlass zu berechtigter Kritik waren und insbesondere im Bericht der Strukturkommission erwähnt wurden: Es ist kein Verantwortlicher für diesen Bericht benannt, was somit wieder die mehrfach monierte Verantwortungsdiffusion fördert. Ein namentlich nicht eindeutig zuzuordnender Bericht bzw. Entscheidung macht wieder Tür und Tor auf für: Keiner war’s gewesen. So eine Einstellung kann die Bundeswehr sich nicht länger leisten.

Viele der intendierten Ziele in dem Bericht sind richtig erkannt, insbesondere was Ressourcenbündelung anbelangt, Wegfall von von Doppelstrukturen und Wegfall von Wasserköpfen. Auf einige Punkte werde ich weiter unten noch eingehen.

Zunächst sticht jedoch ein ganz grober Schnitzer in diesem Bericht ins Auge: Die Verfasser haben einen gravierenden Denkfehler in der Prozessdarstellung begangen, was bildlich auf Seite 9 des Berichtes wiedergeben wird. Dort heißt es: „Dadurch verläuft der Planungsprozess als ein Zyklus ohne Duplizierungen über die gesamte Organisationsstruktur des BMVg.“ Der grafische Prozessablauf in dem Bericht gibt sinngemäß jedoch Folgendes wieder: „Erst planen wir mal die Ressourcen, dann planen wir die gewünschten militärischen Fähigkeiten, und sehen dann mal weiter, wie wir mit unseren Planungen diese gewünschten militärischen Fähigkeiten abdecken können.“

Bei dieser Prozessdarstellung in dem Bericht überkommt einen unmittelbar das Gefühl, dass hier immer noch gearbeitet werden soll wie in den vergangenen 20 Jahren und solche „Erfolgsgeschichten“ mit 20-jähriger Verzögerung hervorbringt, wie Jäger 90 – jetzt „Eurofighter“, oder NH 90 („Neuer Hubschrauber 90) oder Projekt HERKULES, wo das Auftragscontrolling im Bereich „M“ (Modernisierung) bzw. im IT-AmtBw in einigen Bereichen nahezu völlig daneben gegangen ist – wegen der schon mehrfach angesprochenen Verantwortungsdiffusion sowie Inkompetenz und Managementversagen.

Überforderte Projektmanager, wo sich auch auf oberen Ebenen der Bundeswehr niemand unmittelbar für verantwortlich fühlte, und auch keinerlei personelle Konsequenzen gezogen wurden, blieben bisher persönlich in der Haftung unbelangt. Hat die Bundeswehr Steuergelder zu viel? Das wäre allerdings völlig neu. Welchen Verschwendungsluxus toleriert eigentlich der Verteidigungsminister? Mit welcher Begründung? Vielleicht mit: „Es konnte kein Verantwortlicher ausgemacht werden?“ Falsche Antwort, weil es unmittelbar auf schlechte Recherche und Analyse hinweist.

Solche Projektmanager – zivil oder militärisch – sollen angeblich sogenanntes „Spitzenpersonal“ darstellen, was durch Auswahl des Personalamtes der Bundeswehr bzw. des entsprechenden Pendants im zivilen Teil der Bundeswehr oder sogar auf Ebene des Ministeriums für solche Aufgaben „ausgewählt“ wurden? In der zivilen Wirtschaft hätte so etwas einen achtkantigen Rausschmiss plus möglicher Regressforderungen zur Folge. Aber hier handelt es sich ja „nur“ um Steuergelder. Alles wird „weichgezeichnet“ nach dem Motto „Bitte nur positive Meldungen nach oben geben!“ Genau genommen handelt es sich hier um unwahre dienstliche Meldungen, die nach Artikel 42 Wehrstrafgesetz (WStG) zu ahnden sind. Einen besonderen Charme bekommen solche Sachverhalte, falls Artikel 35 (WStG) ins Spiel kommt – ganz frei nach dem Motto: „Wehe, dies wird ’nach oben‘ gemeldet!“

Es bleibt sehr aufmerksam zu beobachten, ob zu Guttenberg konsequent und hart durchgreift, die „Kellerleichen“ der vergangenen Jahre aufräumt, personelle Konsequenzen trifft und den weiteren Rechtsweg einleitet, oder es wieder heißt: „Tun wir mal so, als wäre da nichts gewesen.“ Das Wehrstrafgesetz hat allerdings einen unschönen „Webfehler“: Es gilt nur für Soldaten. Projektmanager, die als zivile Angestellte oder Beamte Projekte „vergeigt haben“ bleiben also völlig ungeschoren? Hier wird zu Guttenberg sehr sorgfältig und im Detail sehr professionell prüfen lassen müssen, ob vorsätzliche oder grob fahrlässige Dienstvergehen oder Handlungen vorliegen, die zu einem Schaden geführt haben.

Allerdings könnte es sich zu Guttenberg auch sehr einfach machen: „Schwamm drüber – das Geld ist halt weg. Und nachgeforscht wird auch nicht mehr.“ Dann hätte zu Guttenberg allerdings selbst ein Problem: Er wäre weder als Vorbildfunktion noch als Verteidigungsminister länger haltbar, denn wie will er glaubwürdig dem Steuerzahler und damit den Wählern erklären, dass er alles unternommen habe, um Schaden abzuwenden, schon entstandenen Schaden so weit wie möglich zu reduzieren, womöglich Gelder zurückzuführen und zudem Schaden durch entsprechende Kontrollmechanismen in der Zukunft zu vermeiden? Die Bundeswehr erhält immerhin jährlich rund 30 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt – der größte Teil davon sind Steuermittel. Soldaten und zivile Mitarbeiter erwarten einen Verteidigungsminister, zu dem sie aufblicken können, insbesondere dann, wenn er sich zukünftig für noch höhere Weihen positionieren möchte – als eventueller Kanzlerkandidat in der nächsten oder übernächsten Legislaturperiode.

Personal, Schulen, Ausbildung und Reservisten

Die Entscheidung das gesamte Personalwesen der Bundeswehr zukünftig in einem Bereich „Personal“ zu führen, also alle Bundeswehrangehörigen, ist sehr zielführend. Dies soll gehen von der Nachwuchsgewinnung über die Leistungsförderung und Karriereplanung bis zur Zurruhesetzung einschließlich der Bezahlung aller Bundeswehrangehörigen aus einer Hand. Ein solche zukünftige Struktur baut deutliche Reibungsverluste ab, die zur Zeit noch durch bestehende, überflüssige Bürokratie, „Nicht-Zuständigkeits-Feststellungen“ sowie „Aktenliegezeiten“ äußerst störend sind.

Auch die Bundeswehrverwaltungsschulen, die Bundeswehrfachschulen und der Berufsförderungsdienst
werden dem Personalamt unterstellt. Die Universitäten werden ebenfalls dem Bereich „Personal“ unterstellt. Und jetzt wird es spannend: Was ist eigentlich mit der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, der höchsten Bildungsinstitution der Bundeswehr? Kein Wort in dem Bericht. Also entweder vergessen – also verschlampt – oder auch „keinen Plan“, wie man so schön sagt.

Was ebenfalls ins Auge sticht bei dem neuen Bereich „Personal“: Nicht mit einem Wort werden Reservisten erwähnt – in dem ganzen Bericht nicht. Anders ausgedrückt: Ungefähr 1,2 Millionen Reservisten, die der sogenannten „Wehrüberwachung“ unterliegen, wurden schlichtweg im Planungsprozess der neuen Bundeswehrstruktur organisatorisch vergessen und blieben im Bericht somit unerwähnt. Eine Qualitätssicherung des vorliegenden Berichtes im Sinne einer gesamt-einheitlichen Betrachtungsweise der Neuorganisation einer Armee, also für Aktive, Zivile und Reservisten, hat offensichtlich nicht stattgefunden. Also auch bei diesem essentiell wichtigen Punkt „Reserve“ wurde entweder geschlampt oder man hat tatsächlich auch hier einfach „noch keinen Plan“. Da sich – wie weiter oben schon festgestellt – niemand als Verantwortlicher dieser Publikation bisher zu erkennen gibt, ist somit automatisch Minister zu Guttenberg für den Bericht verantwortlich.

Es steht außer Zweifel, dass eine Armee sowohl für den Grundbetrieb als auch für den Einsatz selbst gelegentlich Verstärkung, Unterstützung und Entlastung benötigt – nämlich Reservisten. Insbesondere wenn spezielle, einzelne Fähigkeiten („skills“) gefordert sind, müsste man unterstellen, dass das Personalwesen der Bundeswehr in der Lage ist, aus Millionen von Datensätzen in kürzester Zeit – sagen wir mal innerhalb von 30 bis 60 Sekunden – geeignete Personen herauszufiltern und diese anzuschreiben, ob sie für bestimmte Aufgaben für einen bestimmten Zeitraum verfügbar sind. Eine solche Vorstellung muss man ersatzlos streichen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen / Fähigkeiten funktioniert diese IT-unterstütze Selektion nicht.

Das hat zwei Gründe: Das bzw. die zur Zeit verwendeten, unterschiedlichen IT-Systeme im Personalwesen sind nicht geeignet, d.h. nicht flexibel genug, spezielle Einzelfähigkeiten zu speichern und bei Bedarf zu selektieren – wie gesagt bis auf wenige Ausnahmen. Der zweite Grund: Die Qualität der Masse der gespeicherten Personaldaten der Reservisten ist unterhalb jeder Würdigung. Dieser Umstand taucht weder im Bericht der Strukturkommission auf noch in irgendeinem anderen bisher publizierten Bericht. Überall wird jedoch von „Flexibilität“, von „Qualität“, sogar von „Einsatzqualität“ gesprochen.

Und was ist mit der Datenqualität von Personaldaten? Wenn ich als Bundeswehr miserable, veraltete Personaldaten gespeichert habe, muss ich mich auch nicht wundern, dass ich keine „Personalressourcen“ aus meinen 1,2 Millionen Reservistinnen und Reservisten erschließen kann, die für eine bestimmte Zeit Aufgaben im In- oder Ausland übernehmen können. Wenn zu Guttenberg auch dies bis heute noch nicht wahrgenommen hat – dann ist die Frage: Wieso nicht? Die möglichen Antworten sind sehr überschaubar: Entweder hat man ihm diese Informationen vorenthalten, oder man hat es ihm erklärt, und er hat es (noch) nicht verstanden. Die Bundeswehr hat somit nur einen marginalen und zudem auch noch weitestgehend falschen Überblick über die vorhanden Personalfähigkeiten der Reserve – von rund 1,2 Millionen Mann bzw. Frau. So etwas nennt man „im Nebel herumstochern“ – das Wort Personal-„Führung“ wäre purer Zynismus.

Reservisten expressis verbis – No Future?

An vielen Stellen in der Bundeswehr und auch von der Politik wird immer wieder betont und ausdrücklich herausgestellt, wie wichtig Reservisten für die Bundeswehr seien. Auch der Bericht der Strukturkommission vom Oktober 2010 betont die Bedeutung. Damit nicht möglicherweise ein wissenschaftliches, „Guttenberg’sches Vergesslichkeitssyndrom“ unterstellt wird, welches im „Neusprech“ der Bundeswehr auch gerne als „Bürofehler“ verklausuliert wird, wenn man seine eigene Verantwortung für fehlerhaftes Handeln einem unbekanntem Neutrum in die Schuhe schieben möchte, sei hier explizit darauf verwiesen: Der nachfolgende Text stammt Wort für Wort aus aus dem Bericht der Strukturkommission und betrifft die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr:

„Ein zukunftsfähiges Reservistenkonzept ist zu erarbeiten. Dabei werden die neuen Landeskommandos in den Ländern gestärkt.“ (Seite 43)

Weiter heißt es:

„Reservisten und Reservistinnen sind ein fester, unverzichtbarer Bestandteil der Bundeswehr. Sie bilden ein wichtiges Element für die Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit der Truppe sowie den Schutz des Bürgers bei Katastrophen und besonders schweren Unglücksfällen. Die Bundeswehr der Zukunft wird zur Entlastung der Truppe vermehrt auf gut ausgebildete Reservisten zurückgreifen können müssen, um ihren Auftrag weiterhin zu erfüllen. Reservisten tragen als Mittler dazu bei, die Bundeswehr in der Gesellschaft zu verankern.

Künftig geht es darum, innovative Wege zu finden, um Reservisten für die Bundeswehr zu gewinnen und dauerhaft an die Bundeswehr zu binden. Insbesondere gilt es, konsequenter als bisher die für die Wehrübungstätigkeit notwendigen Fähigkeiten aktiver und ehemaliger Soldatinnen und Soldaten zu erschließen und durch entsprechende Aus- und Fortbildung zu erhalten, besser noch auszubauen. Das zivilberufliche Potenzial von ungedienten Seiteneinsteigern muss für die Bundeswehr nutzbar gemacht werden. Geeigneten Kandidaten sollten Zeitverträge oder auch ein unbefristeter Einstieg in eine militärische Laufbahn angeboten werden können.

Freiwilliges Engagement von Reservisten muss attraktiv sein. Daher ist ein Seiteneinstieg zu erleichtern und sind die Beförderungsmöglichkeiten von starren, überkommenen Vorgaben zu lösen und vorrangig am Bedarf, Interesse und an individuellen Fähigkeiten zu orientieren.

Reservisten, die in den Einsatz gehen, muss Planungssicherheit gegeben werden, so dass ihre Vorbereitung in privater und beruflicher Hinsicht rechtzeitig ermöglicht wird.

Freiwilliges Engagement von Reservisten muss gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung finden. Neben den erforderlichen öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen ist verstärkt auf die Arbeitgeber zuzugehen, um deren Verständnis und Anerkennung des freiwilligen Engagements ihrer Mitarbeiter gezielt zu fördern. Gleichzeitig müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen möglichst reibungslosen Wechsel zwischen zivilem Berufsleben und dem Dienst in den Streitkräften ermöglichen. Hierzu zählt ein modernes Personalmarketing, welches die Bereitschaft bei den Arbeitgebern weckt, ihre Mitarbeiter für die Reservistenarbeit freizustellen. Mit der Reservistenarbeit sollte neben der für die Reservisten interessanten Einsatzmöglichkeit in den Streitkräften auch ein Mehrwert für ihren jeweiligen Arbeitgeber verbunden sein.

Reservisten müssen mehr als bisher in die Bundeswehr integriert werden – sei es bei der zivilmilitärischen Zusammenarbeit, dem Einsatz im In- und Ausland oder dem täglichen Dienstbetrieb. Darüber hinaus sollte ihnen künftig eine tragende Rolle bei der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft zugesprochen werden.

Die Konzeption für Reservisten und Reservistinnen der Bundeswehr vom 10. September 2003 ist angesichts der vorgesehenen Umstrukturierungen und der beabsichtigten Änderung der Wehrform konsequent mit dem Ziel weiterzuentwickeln, die Aufwuchs- und Regenerationsfähigkeit sowie die Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte zu sichern, die aktive Truppe zu entlasten und in ihrem originären Auftrag zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sollte sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter der Territorialen Wehrverwaltung bei gegebener Eignung grundsätzlich mit einem Reservistenstatus versehen werden. Es ist größter Wert darauf zu legen, das Engagement und die Motivation von Reservisten mit geeigneten Maßnahmen deutlich zu stärken sowie deren Qualifikation und Kompetenz durch Aus- und Fortbildung zu erhalten.“ (Seite 100/101)

Zitat Ende

Das, was zu dem Thema Reservisten von der Strukturkommission ausgeführt wird, ist völlig zutreffend, zukunftsorientiert und richtungsweisend. Die heutige Bundeswehr in ihrer Struktur, mit ihren jetzigen Prozessabläufen, unscharfen Zuständigkeiten und den Verantwortlichen für die jeweiligen Aufgabenbereiche ist weitestgehend gar nicht dazu in der Lage, dies umzusetzen. Dabei ist es für die grundsätzliche Betrachtung erst einmal unwesentlich, ob es gravierende Organisationsmängel, mangelhafte Prozessabläufe Führungsfehler oder schlichtweg intellektuelle Überforderung verschiedener Dienstposteninhaber in Führungsfunktion sind. Selbst hochmotivierte und engagierte zivile oder militärische Mitarbeiter, von denen die Bundeswehr erfreulicherweise (noch) recht viele hat, resignieren irgendwann vor den Betonwänden der Mittelmäßigkeit und Lernresistenz der jeweiligen Vorgesetzten.

Zu dem Thema der Datenqualität und Datenhaltung von 1,2 Millionen Reservisten im Personalwesen der Bundeswehr habe ich bereits genügend gesagt. Abrundend vielleicht noch: Es ist eine Großbaustelle sowohl im organisatorischen als auch im personellen Bereich. Aus diversen Quellen von Reservisten ist zudem zu vernehmen, dass sogenannte „Personalgespräche“ nicht selten mangelhaft und lustlos vom Personalführer vorbereitet sind. So etwas ist sehr ernst zu nehmen und innerhalb der Bundeswehr genauer zu untersuchen – erforderlichenfalls auch mit personellen Konsequenzen im Personalwesen – zukünftig im „Personalamt“. Stichwort „Personalmarketing“: Ich glaube nicht, dass wirklich Viele im Personalwesen der Bundeswehr bisher verstanden haben, was „Personalmarketing“ alles umfasst und was daher zu tun ist. Ansonsten hätten wir nicht die grottenschlechte Personallage bei den Reservisten und der aktiven Truppe – q.e.d. – quod erat demonstrandum.

Aus- und Fortbildung von Reservisten

Die Wichtigkeit der Aus- und Fortbildung von Reservisten wird in der obigen Passage des Berichtes der Strukturkommission mehrfach erwähnt. Ich bin der unumstößlichen Überzeugung, dass Aus- und Fortbildung nicht nur in der Bundeswehr, sondern in der ganzen Gesellschaft DAS wesentliche Element sind, dass die Menschheit nicht auf der Stelle tritt, nicht zurücktreibt, sondern sich weiterentwickelt.

Die analytische Gesamtbetrachtung dieser Thematik bezogen auf den aktuellen Stand bei der Bundeswehr lässt sich auf einige Punkte strukturiert reduzieren:

Erstens, Ausbildungsplätze und Lehrgänge bei der Bundeswehr sind zunächst primär für Einsatzsoldaten vorgesehen, soweit Ausbildung unmittelbar einsatzrelevant ist.

Zweitens, in der nächsten Priorität folgen aktive Soldaten und Soldatinnen aus der Truppe.

Drittens, danach erst folgen beorderte Reservistinnen und Reservisten, wobei der Schwerpunkt der Ausbildung für gewöhnlich in dem Tägtigkeitsumfeld liegt, wo der/die Reservist(In) beordert ist, es sei denn, im Rahmen der möglichst breitbandigen Ausbildung, Einsatzmöglichkeiten und Verwendung von Offizieren der Reserve werden über fachspezifische Lehrgänge hinaus weitere Lehrgänge angeboten. Die sogenannte „Ausbildung am Arbeitsplatz“ (in der Bw-Dienststelle) soll – so weit möglich – praktiziert werden.

Viertens, auch wenn nahezu alle Lehrgänge der aktiven Truppe auch für Reservisten geöffnet sind, ist die Anzahl der verfügbaren Lehrgangsplätze naturgemäß beschränkt und oftmals über Monate im voraus belegt.

Fünftens, eine Lehrgangsdauer kann durchaus auch zwei Wochen überschreiten. Die Freistellung von Reservisten durch den Arbeitgeber für einen längeren Zeitraum ist oftmals problematisch, da die Arbeitskraft im Unternehmen benötigt wird und das Verständnis für Wehrübungen oder Lehrgänge bei vielen Arbeitgebern nicht vorhanden ist.

Sechstens, Tele-Learning und Remote-Learning sollen zukünftig verstärkt genutzt werden. Für Reservisten, die nur von zu Hause aus auf elektronische Aus- und Fortbildungsangebote der Bundeswehr zugreifen könnten, wird ein Zugriff vom privaten PC über das offene Internet in das interne Netz der Bundeswehr aus Sicherheitsgründen – wie bisher – auch nicht möglich sein. Ob eine andere Form des Lernens, z.B. durch Versenden von CDs mit Lernunterlagen in Betracht kommt und dann eine „Anwesenheitspflicht“ des Reservisten bei möglichen Prüfungen erforderlich ist, wird sich noch zeigen müssen.

Siebtens, für Reservisten, die (noch) nicht in einer Beorderung sind, kann eine Ausbildung über das jeweilige Landeskommando oft im Verbund mit oder über dem Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) erfolgen, soweit auch hier entsprechende Ressourcen sowie die persönliche Eignung vorhanden sind. Diese Ausbildung kann jedoch nur sehr eingeschränkt bestimmte Themen oder Themenfelder beinhalten, und zum heutigen Zeitpunkt auch nicht mit der Aus- und Fortbildung kompletter Lehrgänge bei der Bundeswehr verglichen werden.

Achtens, es wird keine separaten Lehrgänge nur für Reservisten bei der Bundeswehr geben, so ist aus für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu vernehmen.

Da zudem der haushälterische Druck von Bundesfinanzminister Schäuble bei Verteidigungsminister zu Guttenberg nicht weniger geworden ist, Milliarden einzusparen, hat zu Guttenberg hier eine weitere Baustelle bei Tausenden von Reservisten – also deren Qualifikation und Kompetenz durch Aus- und Fortbildung zu erhalten.

Diese offensichtlich missliche Lage zur Ausbildung von Reservisten ist nicht wirklich neu, sondern seit Jahren bekannt. Im Frühjahr 2008 hat der Autor ein erstes, kurzes Impulspapier entwickelt und publiziert: Eine „Reservistenakademie“. Korrespondenz zur Unterstützung eines solchen Gedankens erfolgte in Richtung des damaligen Verteidigungsministers, Dr. Franz Josef Jung. Jung, nicht nur ein entscheidungsschwacher und farbloser Politiker sowie intellektuell mit einer „Reservistenakademie“ offensichtlich überfordert, gab den Vorgang dann seinem damaligen Staatsekretär Peter Wichert, der damit offensichtlich auch intellektuell überfordert war und die Angelegenheit wiederum an das Bundespräsidium des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) weiterleitete. Nur einige wenige im Bundespräsidium verstanden den Leitgedanken einer Reservistenakademie, ein größerer Teil allerdings nicht und übergaben den Vorgang an den Bundesgeschäftsführer des Verbandes, Oberst a.D. Dierk Joachim Fell. Der war offensichtlich genau so damit überfordert. Es passierte rein gar nichts. Nunmehr „schimmelt“ dieser Leitgedanke einer Reservistenakademie also seit über drei Jahren irgendwo in den Schubladen zwischen Bundeswehr und Reservistenverband. Und selbstverständlich will es niemand gewesen sein. Also nichts Neues: Verantwortungsdiffusion und Managementschwäche.

Es bleibt also aufmerksam zu beobachten, wann endlich irgendjemand aus dem „Büroschlaf“ in Guttenbergs Ministerium erwacht, die geschilderte Ausbildungsproblematik der Reservisten anpackt und zu Guttenberg eine Lösung aufzeigt. Alle bisher damit Befassten haben offensichtlich den persönlichen Leistungshorizont zur Lösungsfindung deutlich überschritten. Falls weiterhin nichts unternommen wird, kann zu Guttenberg sich eine qualifizierte und einsatzfähige Reserve „abschminken“, wie es bei der Bundeswehr gelegentlich heißt. Die Gründe dafür habe ich weiter oben bereits ausgeführt.

Bundeswehr, NATO und zukünftige Bedrohungen

Es ist unter Partnern einer Allianz üblich, dass man sich weitestgehend höflich verhält, einen der Bedeutung angemessenen Umgang pflegt und tunlichst auch keine unpassenden Äußerungen tätig, die beim anderen Gesprächspartner zu Irritationen, wenn nicht sogar zu Verstimmungen führt. Doch hinter den Kulissen sieht es gelegentlich deutlich anders, deutlich robuster aus: Es wird unverhohlen kritisiert. Deutschland möchte schon gerne hier und dort in der internationalen Politik eine größere Rolle spielen. Die Rolle des „Zahlmeisters Deutschland“ ist eh schon lange, gerne und überall willkommen. Doch die NATO – speziell Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen – möchte, dass sich auch Deutschland und damit auch die Bundeswehr stärker als bisher in internationale Aufgaben einbringt. Das hat Rasmussen mehr als nur einmal und sehr deutlich geäußert.

Wohlfeile Worte von zu Guttenberg im Sinne von „das machen wir schon“ helfen da nicht weiter, wenn keine oder zu wenig glaubwürdige und einsatzfähige Substanz – Personal und Material – verfügbar ist. Wenn Anfragen der NATO an alle NATO-Partner – und damit auch Deutschland – hinsichtlich Reservisten / Zivilisten ins Leere verlaufen, hinterlässt auch dies nicht unbedingt den Eindruck von Professionalität, wenn die Kommunikation zwischen Ministerium und den Reservisten nicht ausreichend funktioniert.

Wer immer noch glaubt, dass Deutschland mit seinen bisherigen einsetzbaren Truppenkontingenten mit „einem blauen Auge“ davon gekommen ist, mag ungetrübt jeglicher politischer und geostrategischer Weitsicht das gerne glauben. Die nächsten sich verschärfenden Bedrohungslagen liegen an der Südflanke und der Südostflanke der NATO: Die Regionen Naher / Mittlerer Osten und Afrika.

Dieser schlechten Nachricht ist eine noch schlechtere hinzuzufügen: zu Guttenberg hat als Verteidigungsminister zu wenig einsetzbare Ressourcen – losgelöst vom üblichen Parlamentsvorbehalt. Was will er machen, wenn in den kommenden Monaten, maximal zwei Jahren, Unterstützung in den vorgenannten Gebieten von Deutschland, also von der Bundeswehr angefordert wird, und die gleichzeitig einsetzbaren Kräfte – einschließlich Afghanistan und Kosovo – auf 15.000 oder 20.000 aufwachsen müssen? Es gibt erhebliche Fähigkeitslücken in einigen Bereichen, ohne hier näher darauf eingehen zu wollen. Der NATO ist es auch völlig egal, welcher deutscher Verteidigungsminister seine (Management)-Probleme oder Haushaltsprobleme nicht in den Griff bekommt: Die NATO will Ressourcen – Personal und Material. Einzelschicksale von Ministern haben dabei eher untergeordnete sicherheitspolitische Bedeutung.

Manager?

Es ist aus meinen recht unterschiedlichen Ausführungen unschwer abzuleiten, dass das Kernproblem immer wieder Managementprobleme und damit Managementdefizite sind, die intellektuelle Defizite oder Persönlichkeitsdefizite selbstverständlich mit einbeziehen. Minister zu Guttenberg ist de facto der „Obermanager“. Gut auszusehen, recht beliebt zu sein, gelegentlich auch recht hemdsärmelig vorzugehen und auch schon mal eine bissige Rhetorik kann je nach Zielgruppe durchaus wirkungsvoll sein, ist jedoch nicht unbedingt ein Managementmerkmal. Guttenberg hat es nach über einem Jahr nach seinem Amtsantritt im Oktober 2009 bisher versäumt erkennbar gute Manager in ausreichender Anzahl in seinem Umfeld zu „installieren“, um den schwierigen Umbau der Bundeswehr erfolgreich hinzubekommen. Die Wahrscheinlichkeit seines Scheiterns bei der Strukturreform steigt damit deutlich.

Zudem hat zu Guttenberg hat ein ganz anderes Problem: Die Halbwertzeiten seiner Aussagen haben oftmals nur eine Beständigkeitsdauer von einer Woche bis runter zu einem Tag. Beispielsweise seien in Erinnerung gebracht die vorschnellen Aussagen zum damaligen Zwischenfall in Kunduz, die dann widerrufen werden, vorschnelle Zusagen zur Einsparung von Milliarden bei der Bundeswehr, die dann widerrufen werden, vorschnelle Aussagen, welches Strukturmodell der Bundeswehr greifen soll, die dann widerrufen werden, vorschnelle Äußerungen und Entscheidungen zur Suspendierung des Kommandanten der Gorch Fock, Kapitän zur See Norbert Schatz, noch bevor die Untersuchungen abgeschlossen sind und damit nahezu das gesamte Offizierskorps der Bundeswehr gegen sich aufbringt. Ebenso ist der Schnellschuss zur (vorübergehenden) Einstellung der Wehrpflicht ohne eine funktionierende, professionelle Personalrekrutierung für Freiwillige installiert zu haben eher ein Zeichen von fehlender strategischer und operativer Weitsicht, als ein Zeichen von ausgeprägter Klugheit.

Offensichtlich ist zu Guttenberg also ein Mann der „Schnellschüsse“. Wenn diese Schnellschüsse wenigstens Präzisionstreffer wären, hätte kaum jemand etwas dagegen einzuwenden. Doch dem ist unschwer erkennbar nicht so. Solche Schnellschüsse, solcher Aktionismus, deuten eher auf eine große, wenn auch verdeckte, innere Unsicherheit und ausgeprägtes Geltungsbedürfnis hin nach dem Motto: „Ich habe ja etwas unternommen.“ Es ist momentan auch nicht erkennbar, ob er seine Handlungen schlecht reflektiert und allein entscheidet, oder ob er immer wieder von Dritten – ich nenne sie mal „Ohrflüsterer“ – auf den „falschen Topf“ gesetzt wird. Letztendlich ist es auch egal: Einzig und allein zählt die Entscheidung – gleich, ob alleine getroffen oder von Dritten beeinflusst. Die Verantwortung dafür trägt zu Guttenberg auch ganz alleine.

Riffe und Untiefen

Es hat den Anschein, dass zu Guttenberg sich in vielen seiner Entscheidungen eher wie ein Freizeitkapitän auf einem Sportboot verhält: Auf jede kleine Welle irgendwie reagieren – Ruder links, Ruder rechts, Ruder wieder links – und dabei noch eine möglichst gute Haltungsnote abgeben. Was ihm scheinbar immer noch nicht hinreichend bewusst ist: Er ist etwas ähnliches wie der „Kapitän“ eines Flugzeugträgers, wie einer Flottille oder besser noch einer ganzen Einsatzgruppe. Und wenn er als „Kapitän“ der ganzen Einsatzgruppe auf jede kleine Welle schaut, die dahingeplätschert kommt, und meint jedes mal reagieren zu müssen, wird er womöglich gar nicht merken, dass er mit der Einsatzgruppe „Bundeswehr“ auf ein großes Riff oder auf den Strand zusteuert. Das war’s dann.

Der Untertitel dieses Artikels lautet: „Wird zu Guttenberg scheitern?“ An einigen, wenigen Beispielen sollten ein paar „Minenfelder“ oder „Fußangeln“ aufgezeigt werden, die nicht unproblematisch sind. Es gibt noch erheblich mehr. Unzweifelhaft ist es zu Guttenbergs Wille als Verteidigungsminister „einen guten Job“ zu machen. Doch „Wollen“ und „Können“ sind nicht dasselbe. Daran sind schon ganz andere Manager gescheitert. Und die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns von zu Guttenberg als Armeereformer ist leider nicht gering. Das hat jedoch eher weniger mit der Aufgabenstellung per se zu tun als mit der Person bzw. mit der Persönlichkeitsstruktur zu Guttenbergs. Und die „Truppe“ – Soldaten und Zivilangestellte – beobachten sehr genau, wie gut er „seinen Job“ macht. Ein Karl-Theodor von und zu Guttenberg ist allerdings kein Carl von Clausewitz.

(Re)-Förmchen und Dr. Oetker

Wenn aus der angestrebten, unzweifelhaft sehr schwierigen und anspruchsvollen Bundeswehrreform nur ein „Reförmchen“ wird, dann wird es problematisch – für die Bundeswehr, für zu Guttenberg, für Kanzlerin Angela Merkel, für die Koalition. Denn niemand möchte als eventueller Nachfolger von zu Guttenberg gerne einen „Reparaturbetrieb“ oder eine „ewige Dauerbaustelle“ übernehmen. Und die Umstrukturierung der Bundeswehr wird sich deutlich über das Bundeswahljahr 2013 hinziehen, egal wie dann in 2013 die politischen Weichen gestellt werden, egal, ob Deutschland dann (noch) in der NATO oder (noch) in der EU sein wird oder der weltweite Finanzcrash völlig andere Diktionen und nur sehr eingeschränkte Handlungsoptionen vorgibt.

„Reförmchen“ und „Förmchen“ sind sprachlich nahe beieinander. „Reförmchen“ hat es in Deutschland in der Politik massenhaft gegeben – auch bei der Bundeswehr. Manche sprechen auch von „Verschlimmbessern“. Mit „Förmchen“ spielt man allerdings eher im Kindergarten und natürlich im Sandkasten. Welches „Förmchen“ man nimmt, ist eigentlich egal. Hauptsache man bekommt „etwas gebacken“ – ob mit oder ohne Doktor-Titel. Auch ohne „Back“-Pulver von Dr. Oetker. Nur das Ergebnis zählt. Und sonst nichts. Und das gilt auch für Verteidigungsminister zu Guttenberg.

Konsequenzen

Wird ein Scheitern der Bundeswehrreform schrittweise deutlich oder durch seine wiederholten, unüberlegten und unausgereiften Schnellschüsse weiter torpediert, ist seine Karriere vorzeitig beendet – deutlich schneller als sein Aufstieg gedauert hat. Auch eine Kanzlerin wird sich dann irgendwann schwer tun ihn zu halten. Und ein Staat, der international entsprechend ernst genommen werden möchte – so wie Deutschland – der braucht gute Streitkräfte. Dies bedeutet: Hochwertiges Personal einschließlich Reservisten, hochwertige und moderne Ausrüstung – zeitnah im Zulauf, hochwertige Führungskräfte in allen Führungsebenen und einen möglichst hochwertigen Verteidigungsminister. Falls Letztgenannter nicht den Anforderungen entsprechen sollte, hat das negative Auswirkungen auf die gesamten Streitkräfte. Bereits schon heute erkennbare Frühindikatoren für sicherheitspolitische Entwicklungen der kommenden Jahre lassen jedoch keinen Platz für Zweitklassigkeit.

© Ralf R. Zielonka
19. Februar 2011

Eine Antwort

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  1. ebook said, on 19/02/2011 at 05:37

    Wie weit ist es denn nur gekommen, da sterben deutsche Soldaten am Hindukusch und in Presse wird trotzdem an erster Stelle die Doktor Arbeit von Guttenberg besprochen und zerlegt. Warum wird nicht die gleiche Mühe darauf verwendet endlich eine Exit Strategie unserer Soldaten vom Hindukusch einzufordern. Das ist doch hundert Mal wichtiger. Wie oberflächlich ist denn unser Land nur geworden? Das ist mir vollkommen unverständlich.


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