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Reservisten in Armee, Wirtschaft und Öffentlichkeit

Herausforderungen und Verantwortung an die Zukunft

Die Bundeswehr braucht Reservisten stärker denn je und in der Vergangenheit sind diesbezüglich viele Fehler gemacht worden, so ist ohne Schönfärberei in den vergangen Monaten von hohen Stellen einschließlich von personalbearbeitenden Stellen der Bundeswehr wiederholt und glaubhaft zu hören. Diese Feststellung ist eine nähere Betrachtung wert.

In einer Zeit, wo durch die Finanzkrise das gesamte Staatswesen und somit auch Verteidigungsministerium und Bundeswehr faktisch einem Spardiktat unterliegen, die Wehrpflicht ausgesetzt wurde und Verteidigungsminister zu Guttenberg mit gutem Beispiel in seinem Ressort gegenüber den anderen Ressorts vorangehen möchte, jedoch Grenzen und Möglichkeiten schneller deutlich werden als ursprünglich erwartet, Stellen bei der Bundeswehr – militärisch und zivil –  abgebaut werden sollen, mag man die Notwendigkeit eines Bedarfes an Reservisten zunächst nicht so recht glauben.

Bei genauerer Analyse der tatsächlichen Verfügbarkeit des einsetzbaren und oftmals sehr stark fähigkeitsorientierten Personals in der Bundeswehr sieht die Lage ohne Blick durch eine rosarote Brille in vielen Bereichen sehr ernüchternd aus. Obwohl die jeweiligen STAN-Dienstposten mit Soldatinnen und Soldaten besetzt sind, stehen diese faktisch nicht für den eigentlichen soldatischen Dienst und damit nicht für die Ausführung und Umsetzung der angedachten Aufgaben in vollem Umfang zu Verfügung. Die wesentlichen Gründe dafür sind

  • Kommandierung zu Lehrgängen, Aus- und Weiterbildung
  • Urlaubszeiten, Regenerierung
  • Krankheit

Insgesamt wurde bei Erhebungen innerhalb der Bundeswehr festgestellt, dass ungefähr ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten während ihrer gesamten Bundeswehrdienstzeit nicht zur Verfügung stehen. Auf die zur Zeit noch vorhandene Truppenstärke von rund 250.000 bezogen bedeutet diese Erkenntnis schlicht und ergreifend: Lediglich circa 167.000 Soldatinnen und Soldaten stehen tatsächlich für die eigentlichen Aufgaben zur Verfügung. Und zur Verfügung stehen bedeutet nicht unbedingt, dass der richtige Mann / Frau mit den den jeweils benötigten Kenntnissen und Fähigkeiten auch auf dem richtigen Dienstposten sitzt.

Minister zu Guttenberg beabsichtigt die Bundeswehr zukünftig so auszurichten, dass gleichzeitig 10.000 bis 15.000 Soldaten Aufgaben der NATO, der UN oder der EU  im Einsatz wahrnehmen können. Bei einer Auslandseinsatzzeit von vier Monaten sowie einer Einsatzvor- und Nachbereitung von jeweils einem Monat und der parlamentarischen Vorgabe, dass Soldatinnen und Soldaten nur einmal in 24 Monaten in den Einsatz gehen sollen, bedeutet dies eine tatsächlich erforderliche Verfügbarkeit allein für Einsätze von 40.000 bis 60.000 Soldaten – mit den jeweiligen spezifisch benötigten Fähigkeiten. Gleichzeitig muss der Grundbetrieb im Inland aufrecht erhalten werden einschließlich der vielfältigen Unterstützung der im Einsatz befindlichen Soldaten.

Bei der ursprünglich von Minister zu Guttenberg anvisierten Zielmarke – eine Reduzierung auf 163.500 Soldaten – wurde den Bundeswehrplanern sehr schnell deutlich, dass bestimmte Kernfähigkeiten der Bundeswehr gar nicht mehr zu erbringen seien. Es würde also etwas wie eine „Bundeswehr light“ entstehen, zwar „anwesend“, aber als Armee und Partner in der NATO und der EU nur noch eingeschränkt ernst zu nehmen, insbesondere von den USA, Frankreich und England.

Aus der Erkenntnis der dann fehlenden Kernfähigkeiten haben die Planer nun eine erforderliche Größenordnung ermittelt, die voraussichtlich irgendwo zwischen 180.000 und 185.000 Soldaten liegen wird. Bei der tatsächlichen Verfügbarkeit – wie weiter oben bereits ausgeführt – von lediglich Zweidrittel des Personals stehen somit nur 120.000 Soldaten zur Verfügung. Und aus diesem Pool müssen auch die Einsätze abgedeckt werden, die nach Einschätzung von Experten in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen werden.

Da schon heute wegen Auslandseinsätzen, Urlaubsvertretung, fehlendem geeigneten Stammpersonal oder auch besonderen Strukturen wie beispielsweise im Bereich Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) Reservisten in vielfältiger Weise in der Truppe, zeitlich allerdings sehr eingeschränkt Aufgaben wahrnehmen, wird durch die anstehende Strukturform die Fähigkeitslage der Bundeswehr nicht unbedingt besser – zumindest nicht mit den bisher existierenden Regularien, Vorschriften und gesetzlichen Bestimmungen. Von den 95.000 Beorderungsmöglichkeiten für Reservisten, vom Obergefreiten bis zum Oberst oder Kapitän z.S., die die Bundeswehr seit circa 2008 öffentlich auf ihren Webseiten für jeden Interessierten öffentlich zugänglich gemacht hat, konnten in diesem Zeitraum lediglich circa 40.000 besetzt werden. Somit konnten 55.000 Beorderungsdienstposten für Reservisten nicht besetzt werden. (Stand: IV/2010), Tendenz: Weiter negativ. Aus den circa 1.200.000 Reservisten, die zur Zeit noch der Wehrüberwachung in Deutschland unterliegen, muß es doch möglich sein geeignete Reservisten zubekommen, um die Lücken zu schließen und die Beorderungsdienstposten zu besetzen..

Es braucht bei dieser aufgezeigten Personallage der Reservistenbeorderung keine besondere Fähigkeit zu erkennen, dass die Einschätzung der Bundeswehr bzw. des Verteidigungsministeriumsauf auf möglichst einfache Art und Weise geeignete, qualifizierte und zugleich auch verfügbare Reservisten zu gewinnen völlig daneben gegangen ist.

Es ist auch müßig feststellen zu wollen, ob die Verantwortung für diese katastrophale Personallage für Reservisten und die daraus rückschließend ableitbare, strategische Fehleinschätzung der Reservisten-Personalentwicklung bei der Stammdienststelle der Bundeswehr (SDBw), beim Personalamt der Bundeswehr (PersABw), beim Streitkräfteamt, bei der Abteilung Personal-, Sozial- und Zentralangelegenheiten (PSZ) im BMVg, beim Führungsstab der Streitkräfte (FüS I – Innere Führung, Personal, Ausbildung) oder sogar auf parlamentarischer und somit politischer Ebene lag bzw. liegt und zwischen allen Beteiligten die 2010 von der Weise-Kommission und auch von Minister zu Gutenberg zu Recht bemängelte „Verantwortungsdiffusion“ zugeschlagen hat. Dennoch lässt sich die Personalmisere bezüglich Reservisten mit zwei Worten zusammen: Falsche Lagebeurteilung.

Für eine erfolgreiche Sicherstellung von Fähigkeiten in einer Armee bedarf es neben der Verfügbarkeit von Material und Gerät auch einer erfolgreichen Personalpolitik – für Aktive und für Reservisten. Die bisherige Personalpolitik in der Bundeswehr zur Akquisition von Reservisten bedarf daher einer positiven, jedoch radikalen Erneuerung – bis hinein in die Gesetzgebung.

Zu den benötigten Fähigkeiten der Reservisten gehören insbesondere die Bereiche

  • Führungsunterstützung IT (Informationstechnik, Informationsmanagement, IT-Sicherheit, „Cyber“, Führungsgrundgebiet 6)
  • Sanitätswesen

um nur einige wenige Bereiche bzw. Fähigkeiten zu nennen, die in den bereits weiter oben erwähnten, öffentlich einsehbaren Beorderungslisten ausgewiesen sind.

Es ist auch löblich, dass die Bundeswehr für beorderte Reservisten nahezu alle Lehrgänge für die Fort- und Weiterbildung geöffnet hat, die bisher nur für aktive Soldaten zugelassen waren, einschließlich Lehrgänge an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. „Tu was für Dein Land,“ so schallt es landauf und landab. Und dennoch scheinen die Handbremsen an vielen Stellen noch angezogen zu sein. Es nützt nur nichts, wenn mangels Lehrgangskapazitäten oder zeitlicher, beruflicher Unabkömmlichkeit des Reservisten für einen mehrwöchigen Lehrgang das Angebot nicht genutzt werden kann.

Wirtschaft, Öffentlichkeit und Armee

Es kann niemand glaubhaft darlegen, dass ein Land wie Deutschland nicht in der Lage sein soll eine ausreichende Anzahl von Reservisten zu aktivieren, um benötigte Fähigkeiten bei der Bundeswehr im Einsatzsinne abzudecken – sei es im Inland oder im Ausland, ohne dass gleich der „große vaterländische Krieg“ ausgerufen wird. Auch wenn es schon längst überall bekannt sein müsste: Die Bundeswehr ist keine stehende Armee mehr, sondern eine Einsatzarmee. Und zur Aktivierung der Reservisten bedarf es einiger positiver, radikaler Gedanken und auch Veränderungen mit zeitnahem Ansatz. Dazu gehören u.a.

  • Aufhebung der Begrenzung von jährlichen Wehrübungszeiten.
  • Die Bezüge von Reservisten sowie alle sonstigen Leistungen, Rechte und Pflichten sind denen von aktiven Soldaten gleichzustellen. Nur in besonderen, zu begründenden Ausnahmefällen werden darüber hinausgehende Erstattungen / Sicherungsleistungen durch die Unterhaltssicherungsbehörden bzw. zukünftig unmittelbar von der Bundeskasse geleistet.
  • Generelle Aufhebung der z.Z. bestehenden Altersgrenzen für Quereinsteiger.
  • Aufhebung von Altersgrenzen für freiwillige Reservisten und damit verbunden Einführung der neuen Möglichkeit des „Soldaten mit Zeitvertrag“ für beispielsweise ein, zwei, drei oder abhängig vom militärischen Bedarf noch mehr Jahre. Was in anderen Armeen der NATO möglich ist, sollte an antiquierten und somit zu überholenden Gesetzen in Deutschland nicht scheitern.
  • Anhebung der Altersgrenze auf 65/67 wie in anderen öffentlichen Bereichen bereits üblich.
  • Problemloser, auch öfterer Jobwechsel in Aufgabenstellungen zwischen Bundeswehr, Wirtschaft und anderen Arbeitgebern der öffentlichen Hand. Auch der mehrfache Wechsel beispielsweise zwischen Bundeswehr und der wehrtechnischen Industrie muss ohne Benachteiligung möglich sein.
  • Interessante Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für den Reservisten / Soldaten mit Zeitvertrag. Hier sind Maßstäbe und Möglichkeiten anzulegen, wie sie beispielsweise bei den US Streitkräften oder britischen Streitkräften angeboten werden.
  • Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten von Fähigkeiten, die in der Wirtschaft und/oder bei anderen öffentlichen Arbeitgebern verwendet werden können.
  • Einsatz von Werbeprämien und Verpflichtungsprämien.
  • Anerkennung von speziellen, zivil erworbenen Fähigkeiten und langjährigen Erfahrungen für ATN/ATB.
  • Schaffung eines Datenpools mit einer screeningfähigen, auswertbaren Fähigkeits- und Verfügbarkeitsmatrix von Reservisten – nicht nur die ATN/ATB hinterlegt.
  • Schaffung eines einzigen, ausschließlich verantwortlichen Amtes für das gesamte Personalmarketing und Personalmanagement der Bundeswehr und der Wehrverwaltung zur Vermeidung von Verantwortungsdiffusion bei zukünftiger, moderner und effizienter Ausrichtung einer Einsatzarmee.
  • Schaffung eines festen Arbeitskreises „Bundeswehr, Reservisten, Öffentlicher Dienst, Politik und Wirtschaft“ zur kontinuierlichen Verbesserung von Synergieeffekten im Sinne der vorgenannten Punkte.
  • Schaffung eines festen internationalen Arbeitskreises „Reservisten der Armeen der NATO“ zur kontinuierlichen Verbesserung von Synergieeffekten.

Einige der vorgenannten Punkte befinden sich bereits in intensiven politischen Denkprozessen. Gesetzliche Änderungen, wie beispielsweise Änderung der Soldatenlaufbahnverordnung (SLV), sind somit notwendigerweise vorgezeichnet.

Zukünftige Kämpfe, Kriege, Auseinandersetzungen, Unruhen, asymmetrische Kriege – früher deutlich einfacher als Partisanenkrieg oder Guerillakrieg bezeichnet, Terrorismus, radikale Strömungen unterschiedlicher Art, Cyberwar / Cyberattacks auf Infrastrukturen unterschiedlicher Art, Sicherung von Transportwegen, Energie und Rohstoffen sowie erkennbar aufwachsende Migrationsströme an den Außengrenzen der EU insbesondere – aber nicht ausschließlich – vom afrikanischen Kontinent und aus dem Mittleren Osten, Drogenhandel, Geldwäsche, Proliferation von Massenvernichtungswaffen und sicherheitsrelevante Fragestellungen zum Weltraum sind nur einige, zum Teil sehr schwierige Herausforderungen, denen sich die Gesellschaft zukünftig stärker denn je stellen muss. Viele dieser Punkte wurden bereits in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom 21. Mai 2003 unter Regierung Schröder / Fischer richtungsweisend verabschiedet und vom damaligen Verteidigungsminister Dr. Peter Struck in Kraft gesetzt.

Ein Teil der obigen Themen gehören in andere Regierungsressorts, ein Teil in das Ressort des BMVg. Etliche Themen haben gemeinsame Berührungspunkte mit dem Verteidigungsministerium und benötigen ressortübergreifende Lösungsansätze, zum Beispiel mit dem Ressort des Inneren, mit dem Außenamt, mit dem Finanzministerium und dem Wirtschaftsministerium – ein „Rohstoffministerium“ wie in anderen Ländern gibt es in diesem Sinne in Deutschland ja (noch) nicht. Ein großer Teil dieser Herausforderungen ist nur in einer internationalen Gemeinschaft lösbar, sei es NATO, EU, UN oder andere Bündnisse bzw. Organisationen. Auf jeden Fall bedarf zur Lösung dieser Herausforderungen immer wieder kluger Köpfe.

Der Kampf um kluge Köpfe kann nur mit klugen Maßnahmen gewonnen werden – auch bei Reservisten und bei aktiven Soldaten. Attraktivitätsmaßnahmen müssen zudem der Wirtschaft und der Öffentlichkeit ins Auge stechen. Die Bundeswehr muss sich als hochflexibler und zugleich attraktiver Arbeitgeber herausputzen. Zugegebenermaßen eine nicht ganz leichte Aufgabenstellung. Politische, sprachlich in Kauf genommene Verschwurbelungen über einen Einsatz als „bewaffnete Brunnenbohrer“ und als „bewaffnetes Technisches Hilfswerk“ oder heimatliches Schönreden von Einsätzen, in denen Kämpfe, Kriegshandlungen oder kriegsähnliche Handlungen stattfinden, sind zeitnah auszumerzen. Hier müssen die politisch Verantwortlichen in Deutschland endlich deutlich mehr Rückgrat zeigen als in der Vergangenheit. Historisch-politisch motivierte, vermeintlich öffentlich wirksame Demutsaktivitäten einzelner politisch Verantwortlicher sind anachronistisch. Bei Soldaten, Reservisten und auch unseren Verbündeten stößt eine solche Haltung schon seit Jahren auf völliges Unverständnis.

Die Ausbildung von Reservisten sowohl in militärischen als auch fachlichen, insbesondere technischen Bereichen, hat in der Vergangenheit weder auf Seite der Bundeswehr noch auf Seite der Reservisten immer zur Zufriedenheit geführt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, sollen an dieser Stelle jedoch keiner militärhistorischen Tiefenforschung unterzogen werden. Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. (VdRBw) hat sich auf die Fahne geschrieben innerhalb seiner parlamentarischen Beauftragung und seiner ihm zugeordneten Aufgaben die Ausbildung von Reservisten in einigen Bereichen mit übernehmen zu wollen und verstärkt als Mittler zwischen Gesellschaft und Bundeswehr tätig zu sein.

Diese Absichten des VdRBw sind löblich und begrüßenswert. Auch die Einbringung des VdRBw bei der Abfassung der neuen Reservistenkonzeption der Bundeswehr ist begrüßenswert. Bei alledem sollten einige Aspekte jedoch nicht aus der Betrachtung gelassen werden:

Es ist vom VdRBw und ganz speziell vom Bundespräsidium beispielsweise sehr sorgfältig zu analysieren,

  • welche Fähigkeiten die Bundeswehr speziell von unbeorderten Reservisten erwartet,
  • welche Fähigkeiten möglicherweise unterstützend für eine zukünftige Beorderung gewünscht werden,
  • wie ein Benchmarking bzw. Qualitätssicherung der Fähigkeiten aussehen soll (Minister zu Guttenberg sprach wiederholt vom „Grad der Erreichung einer Fähigkeit“),
  • welcher Fähigkeitsaufwuchs in welcher Zeit vom BMVg in Richtung VdRBw erwartet wird,
  • welche personellen, zeitlichen, örtlichen und finanziellen Ressourcen der VdRBw bei realistischer Betrachtung tatsächlich für die Ausbildung zur Verfügung hat,
  • ob gegebenenfalls mit finanzieller Unterstützung der Wirtschaft oder anderen Sponsoren eine eigene, ständige Ausbildungseinrichtung ins Leben gerufen wird, die auch der ungediente Bürger (Stichwort: „Freiwilligen- und Reservistenpotential“) nutzen kann, wobei das Ausbildungsspektrum sich am bekannten oder zukünftigen Fähigkeitsbedarf der Bundeswehr orientieren sollte,
  • wie der Informationsaustausch mit Bildungseinrichtungen der Bundeswehr und auch anderer NATO-Staaten in solche Überlegungen einbezogen werden kann.

Der VdRBw und seine Mitglieder als Mittler zwischen Gesellschaft und Bundeswehr dürften in 2011 und in den Folgejahren an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gelangen, wenn diese Punkte mit gebotener Professionalität umgesetzt werden sollen. Unausgegorene Vorschläge bzw. Konzepte des VdRBw-Bundespräsidiums, die in der Vergangenheit leider immer wieder im Verteidigungsministerium hinter vorgehaltener Hand für Heiterkeit sorgten, müssen zukünftig stringent unterbleiben, um nicht die Existenz des gesamten Reservistenverbandes zu gefährden.

Dazu wird der VdRBw zu der Selbsterkenntnis gelangen müssen, dass sowohl die mittel- und langfristige strategische als auch die operative Planung nicht mit links in einem Nebenamt oder ehrenamtlich erledigt werden können. Sonst tritt genau das ein, was der Bundesgeschäftsführer des VdRBw, Oberst a.D. Dierk Joachim Fell auf einer größeren Jahrestagung im Jahr 2008 in Anwesenheit des damaligen Stellvertreter Generalinspekteur, Generalleutnant Johann-Georg Dora, von Vertretern des Verteidigungsministeriums, des Streitkräfteamtes, von Kommandeuren der Landeskommandos und vielen Reservisten als Mandatsträger des VdRBw de facto öffentlich in dem Mund genommen hat: Das Wort „Karnickelzuchtverein“. Falls die Erinnerungslücke zu groß sein sollte: Es gibt hinreichend Zeitzeugen der Tagung – einschließlich des Autors.

Die Herausforderungen an die Zukunft werden für Reservisten, Bundeswehr und Wirtschaft nicht ganz einfach sein. Das Bild von Reservisten, Soldaten und Bundeswehr kann an positivem Image nur noch hinzugewinnen. Das freundliche Desinteresse der Gesellschaft an der Bundeswehr und seinen Soldaten, welches schon Bundespräsident Horst Köhler 2005 bemängelte, gilt es in ein freundliches Interesse zu wandeln.

Es gilt weiterhin zwischen den Beteiligten – Reservisten, Bundeswehr und Wirtschaft – möglichst große Synergien herbeizuführen, ohne dass sich der ein- oder andere übervorteilt fühlt. Wenn diese Synergien greifen und eine möglichst große Zufriedenheit aller Beteiligten festgestellt werden kann, erst dann kann man sagen: „Mission accomplished.“ Das kann durchaus eine gewisse, nicht näher eingrenzbare Zeit in Anspruch nehmen und ist im wesentlichen abhängig von den Akteuren in dem „Dreiklang“ Reservisten, Bundeswehr und Wirtschaft. Bei dem letztgenannten Akteur sind insbesondere die wehrtechnische Industrie und verwandte Supplier der Bundeswehr mit gefordert – national wie international.

Und die Zukunft?

Bei drei Dingen bin ich mir, was die Zukunft anbelangt, relativ sicher:

Erstens, für mindestens die kommenden zehn bis 20 Jahre Jahre wird die Bundeswehr in Bündnissen wie NATO, EU oder UN in Einsätzen sein, wenn vermutlich auch mit neuen, sehr schwierigen Schwerpunkten und Aufgaben, die sich ganz allmählich analytisch herauskristallisieren und erforderliche Fähigkeiten noch deutlich verbessert bzw. aufgebaut werden müssen, ganz besonders auch im Bereich der sogenannten „enabeling forces“. Ohne nähere Vertiefung der Sachlage sei ein Blick in die „Kristallkugel“ geworfen – mit allen Unsicherheiten, die naturgemäß vorhanden sind: Drei der kritischen Regionen lauten Afrikanischer Kontinent, Mittlerer Osten sowie Europäischer Großraum. Dabei werden verstärkt nicht-staatliche Akteure auf dem Plan stehen – sich ständig neu vernetzend, oftmals völlig autark operierend. Ohne Reservisten wird diesen Entwicklungen nicht erfolgreich zu begegnen sein – weder bei der Bundeswehr noch bei anderen Armeen. Eine intensive Zusammenarbeit mit anderen Ressorts wird zwingend erforderlich sein. Man mag diesen Blick in die Kristallkugel mögen oder auch nicht: Die bereits heute erkennbaren Mittel- und Langfristtrends deuten auf diese Entwicklungen in den genannten Regionen hin. Bereits heute sind mehrere sogenannte „Hot Spots“ erkennbar, die sich ständig vergrößern.

Zweitens, mit entsprechender Ausgestaltung und Denkweisen wird vieles an Veränderungen in der Bundeswehr und bei den Reservisten der Bundeswehr möglich sein, was auf den ersten Blick heute noch unmöglich, ja sogar undenkbar erscheint. Ohne Reservisten wird die sowohl von der NATO als auch von der Bundeswehr gemäß den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) von Mai 2003 zwingend geforderte Unterstützung und Durchhaltefähigkeit (support and sustainability) nicht umsetzbar sein. Der Weg in eine Freiwilligenarmee ist geöffnet.

Drittens, Verteidigungsminister zu Guttenberg wird allen Bremsern, „Reichsbedenkenträgern“ und „Dienstpostenbewahrern“ auch in Bezug auf die anstehende Reservistenthematik Richtung, Drall und Geschwindigkeit geben, wie es in der Bundeswehr so schön heißt. Die NATO und die Partnerstaaten erwarten dies von ihm. Das weiss auch zu Guttenberg – und auch Kanzlerin Angela Merkel. Wie bereits gesagt: Die Bundeswehr ist eine Einsatzarmee. Punkt.

Ich greife immer wieder gerne auf Albert Einstein zurück: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Also: MACHEN!

© Ralf R. Zielonka
17. Januar 2011

2 Antworten

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  1. Harsche said, on 18/01/2011 at 10:36

    Guten Morgen, Ralf!
    Was getan werden muß (musste), wissen wir. Was getan wird, bleibt abzuwarten.
    Wenn Herr zu Guttenberg Erfolg haben will, muß er zuerst alle Regierungsdirektoren und Oberamtsräte sowie die Hälfte der GenStOffze rausschmeißen. Dann sollte er Frau Merkel klar machen, daß eine funktionierende Armee Geld kostet, auch wenn Herr Schäuble noch so bremst. Es muß den Verwaltungsleuten klar gemacht werden, daß
    Reservisten dringend gebraucht werden, genau so den Unternehmern !!!
    Hoffentlich klappt es.
    Tu was für „dein Land“!!!
    MkG
    Adi

    • analyticsdotcom said, on 19/01/2011 at 23:14

      Hallo Adi,

      vielen Dank für Deine durchaus verständlichen, emotionalen Worte. Dir als „alter Kämpe“ und Offizier mit Einsatzerfahrung – auch unter Beschuss – macht man so schnell kein X für ein U vor.

      Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten durchaus verstärkt den Eindruck gewinnen können, das sowohl auf Ebene des Ministeriums als auch in der Bundeswehr diverse Problemfelder indentifiziert wurden. Dass dabei jetzt und auch zukünftig kräftig gehobelt wird und dabei auch einige Späne fallen werden, wird an einigen Stellen deutlich: Die Bundeswehr sieht die Reservisten durchaus in einem Spannungsfeld.

      Auch Roderich Kiesewetter, Stellvertreter des Präsidenten des Reservistenverbandes, MdB und Oberst a.D. hat bereits diverse Handlungsfelder ausgemacht. Bis zur Beseitigung diverser Baustellen dürfte allerdings noch etwas Zeit ins Land gehen.

      Dass gewisse organisatorische oder personelle Problemfelder nicht immer unbedingt mit „Schmusekurs“ gelöst werden können, sondern durchaus etwas robust ablaufen werden, liegt auf der Hand. Und bis die Bundeswehr sich so weit geschüttelt und organisiert hat, dass die Empfehlung der Albright-Kommission von Mai 2010 an den NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, doch geeignete Reservisten / Zivilisten für bestimmte Aufgaben durch die Partner-Staaten melden zu lassen, umgesetzt wird, dürfte auch noch einiges Wasser den Rhein runtergeflossen sein.

      Es bleibt also weiterhin spannend.

      MkG

      Ralf


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